Die Heimtiernahrungsbranche steht vor großen Herausforderungen. Und da niemand genau weiß, was die Zukunft wirklich bringen wird, gab es zu den einzelnen Themenbereichen auch durchaus unterschiedliche Ansichten unter den Teilnehmern. Diese stammten aus der Forschung und Entwicklung, umfassten Rohstofflieferanten für die Petfood-Industrie, Industrieunternehmen, Verpackungshersteller, Technologieunternehmen und Maschinenbauer: kurzum, die Teilnehmer waren genauso vielfältig, wie das Themenspektrum, über das unter Moderation von Patrick Ferrier, dem neuen Schulleiter und Geschäftsführer des Lebensmittelinstituts KIN, zwei Tage lang gesprochen wurde. Networken und der gegenseitige Austausch kamen bei dem Roundtable ebenfalls nicht zu kurz.
Schlachtzahlen rückläufig
Zu den sicherlich wichtigsten Herausforderungen der Branche gehört die weitere Entwicklung des Proteinmarktes, dem sich Marc-Stephen Fink, Senior Purchasing Manager Petfood bei Vet-Concept, in seinem Vortrag widmete. Dabei skizzierte er anhand aktueller Zahlen, dass die Schlachtzahlen bei fast allen Nutztieren innerhalb der EU auch nach Corona zurückgehen. Der Markt, so sein Fazit, werde immer stärker von Asien bestimmt, wo die Zahl der Schlachtungen die in Europa inzwischen um ein Vielfaches übertreffen und nach wie vor ein starkes Wachstum verzeichnen. Dies erklärte Fink mit der nach wie vor steigenden Proteinnachfrage in vielen asiatischen Ländern. Auch in Amerika steigt der Fleischkonsum weiterhin. Fink rechnet damit, dass in Europa auch in Zukunft die Schlachtzahlen zurückgehen werden. Diese Entwicklung habe auch Konsequenzen für die Heimtiernahrungsindustrie. Könnten exotische Proteine eine Alternative zu sinkender Rohware bei Geflügel, Kühen und Schweinen dar stellen? Nein, meinte Fink, denn die Märkte, in denen diese Tiere geschlachtet würden, seien für Europa oft unzugänglich. Der Branchenexperte rechnet deshalb damit, dass Fleisch als Proteinquelle künftig bei der Tiernahrungsherstellung nicht mehr so dominant sein wird wie in der Vergangenheit.
Blick auf die Generation Z
Das meinte auch Sven Kramer, Key Account Manager bei Deuka Companion, und verwies auf den zunehmenden Fleischverzicht innerhalb der Generation Z. 68,4 Prozent der Deutschen, die sich vegetarisch ernähren, seien jung und weiblich, betonte er. Nachdem jahrelang das Motto gegolten habe, je mehr Fleisch, desto besser, hält es Kramer für ratsam, den Fleischanteil innerhalb von Heimtiernahrungsprodukten etwas zu reduzieren. Das würde der Heimtiernahrungsindustrie auch helfen, ihr Rohwarenproblem besser in den Griff zu bekommen. Ganz auf Fleisch zu verzichten, lehnt Kramer allerdings auch ab: „Für einen Großteil der Tiernahrungskunden ist Fleisch nach wie vor ein wichtiger Bestandteil im Futter.“
Branche mit Nachholbedarf
Der Greenologe Klaus Wagner hält es angesichts der politischen Vorgaben in Deutschland und europaweit für dringend notwendig, dass die Heimtiernahrungsindustrie handelt. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, bei der Energieversorgung sind 100 Prozent Ökostrom anvisiert. Wagner fragte die Teilnehmer, welchen Plan sie hätten, um Tiernahrung bis spätestens 2045 ohne den Einsatz von fossilen Energiequellen zu produzieren. Auch bei der Verpackung sieht der Greenologe großen Nachholbedarf und verwies auf die große Nachfrage der Tiernahrungskäufer nach recyclingfähiger Verpackung. Bei den Inhaltsstoffen von Petfood kann sich Wagner gut vorstellen, zu Getreide zurückzukehren. Keine Lösung sei für ihn, die Fleischanteile zu reduzieren und dafür mehr Kohlenhydrate einzusetzen. Denn diese würden immer teurer werden, wie derzeit die Entwicklung der Kartoffelpreise zeige. Wie Kramer fordert auch er, dass die Tiernahrungshersteller ihre Fleischanteile in den Produkten reduzieren. Das sei nachhaltiger, als ein, so Wagner wörtlich, „Zweitsortiment mit Öko-Feeling“ auf den Markt zu bringen.
Fokus auf Seidenraupen
Fabiola Neitzel, Geschäftsführerin des Start-ups Prombyx, der im vergangenen Jahr auf dem Heimtier-Kongress mit dem pe,t-Award für den Best Newcomer ausgezeichnet wurde, stellte als Schlussrednerin des ersten Kongresstages eine interessante Protein-Alternative vor, die auch in Neumünster auf großes Interesse stieß: Hundenahrung auf Basis von Seidenraupen-Puppen, die als Nebenprodukt der Seidenindustrie genutzt werden können. Neitzel berichtete, wie sie auf diese Proteinquelle überhaupt gekommen ist. Sie erzählte von ihren Reisen nach Indien, bei denen sie und ihr Team Kleinbauern, Märkte für Seidenkokons, Verarbeiter und Forschungsinstitute in verschiedenen Regionen Indiens besuchten. Aufbauend auf den dort gesammelten Erfahrungen, beschäftigt das Unternehmen in Indien ein festes und erfahrenes Team, das die Produktionskette von der Maulbeerplantage über die Verarbeitung bis zum Versand gemäß deutschen Qualitätsstandards überwacht. Damit will Prombyx einen pestizidfreien Anbau, faire Löhne für die Beschäftigten und eine optimale Produktqualität sichern.
Bunte Themenauswahl
Eine bunte Auswahl an Themen wurde auch in den Vorträgen des zweiten Roundtable-Tages behandelt. Sie reichten von den Vorzügen von Bierhefe über die Komplexität des Geschmackes in Tiernahrung bis hin zu neuen Prozessmöglichkeiten für die Heimtiernahrungsindustrie. Für Aufsehen sorgte am zweiten Kongresstag vor allem der Vortrag von Dr. Wilfried Tiegs. Der erfahrene Branchenexperte ist Tierarzt, Hundehalter und Geschäftsführer der Firma Wedehof, die sich auf die Entwicklung von bedarfsgerechten und nachhaltigen Fütterungskonzepte für Heimtiere spezialisiert hat. Zu seinen zahlreichen Projekten gehört auch der Tiergesundheitsdienstleister Prevet, dessen Geschäftsführer und Gesellschafter Tiegs ist. Als er vor 14 Jahren im Tierversicherungsgeschäft gestartet sei, habe der Versicherungsgrad in Deutschland bei Hunden und Katzen unter 1 Prozent gelegen, erinnerte er sich. Nun liege er bei 20 Prozent (exkl. Haftpflicht) – immer noch mit Luft nach oben, wenn man den Abdeckungsgrad in Schweden (90 Prozent) oder Großbritannien (50 Prozent) als Maßstab nimmt. Tiergesundheit ist zu einem Mega-Thema geworden, und jeder möchte sich ein Stück des Kuchens erhaschen. Auch große Pharmafirmen würden inzwischen Ergänzungs- und Pflegeprodukte auf den Markt bringen.
Tiegs berichtete von seinem Besuch auf der vergangenen Interzoo, die ihn gelehrt habe, dass längst nicht alle Prophylaxe-Produkte mit Funktionalitäts-Versprechen, die, wie er sagte, inflationär auf den Markt kommen würden, auch hilfreich seien. „Es wird ganz viel Wissen kommuniziert, das aber begrenzt ist“, beschrieb er. Im weiteren Verlauf seines Vortrags kam Tiegs auch auf Indikationen von Heimtieren zu sprechen. Dabei nannte er vor allem das Übergewicht von Hunden als ein ganz großes und weit verbreitetes Problem. Zu sprechen kam der Tierarzt auch auf das Problem der Multimorbidität, also des gleichzeitigen Auftauchens von mehreren Krankheiten, das vor allem im Alter häufig auftrete. Viel Potenzial sieht er bei der Katze, für ihn „eines der am meisten unterschätzten Tiere“. Die gesundheitlichen Probleme dieses Tieres reichen von mitunter schmerzhaften Zahnerkrankungen über Probleme mit den Nieren und Harnwegen bis hin zu Atemwegserkrankungen, Herzerkrankungen und Hautproblemen, für die nach seiner Ansicht noch zu wenig Produkte zur Verfügung stehen.